Die Albanologie in Österreich. Gespräch mit Dr. Kurt Gostentschnigg, österreichischer Albanologe, Historiker, Publizist, Übersetzer, Schriftsteller und Dichter.
Die Albanologie in Österreich
Gespräch mit Dr. Kurt Gostentschnigg, österreichischer
Albanologe, Historiker, Publizist, Übersetzer, Schriftsteller und Dichter.
In: Mimoza Hasani Pllana: Shtegtimi i shqipes në Europë. Prishtina: Olymp 2019.
Interviewerin: Mimoza Hasani Pllana
Mimoza Hasani Pllana: Sehr geehrter Dr. Kurt Gostentschnigg, Ihre albanologischen Forschungen umfassen einen langen Zeitraum der österreichisch-albanischen Beziehungen. Angesichts der Pionierleistungen der österreichisch-ungarischen Albanologen möchte ich dieses Gespräch mit der Frage nach der Geschichte der Erforschung der albanischen Sprache und Literatur in Österreich beginnen.
Kurt Gostentschnigg: Da der Platz für das Interview begrenzt ist, möchte ich mich auf die wesentlichen Fragen konzentrieren. Was den Terminus “Albanologie” betrifft, so verwende ich ihn im weitesten Sinne des Wortes. Für mich umfasst er alle wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Erforschung der Albaner (Geschichte, Ethnographie, Archäologie, Soziologie, Philosophie usw.), der albanischen Sprache (Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft) und der albanischen Siedlungsgebiete (Geographie, Geologie usw.) beschäftigen. Die Antwort auf diese äußerst komplexe Frage habe ich in meiner 828-seitigen Monographie
M..: Erinnern Sie sich daran, wie Sie Albanisch gelernt haben? Was hat Sie dazu motiviert, sich der Erforschung dieser alten europäischen Sprache zu widmen?
K. G.: Die albanische Sprache ist meine alte Geliebte. Die Geschichte der Albaner und der österreichisch-albanischen Beziehungen ist in meinem Verstand, während die albanische Sprache in meinem Herzen ist. Als ich 1989 auf der universitären Exkursion nach Albanien zum ersten Mal den süßen Klang des Albanischen vernahm, verliebte ich mich sofort in diese herrliche Sprache. Ich begann schon am ersten Tag, mir die ersten Wörter in ein kleines Büchlein zu notieren. Sobald ich in Österreich zurück war, fing ich an, täglich autodidaktisch mit einem Lehrbuch des Albanischen die Sprache zu lernen. Obwohl erschöpft von der physischen Arbeit mit meinem Bruder in einem metallurgischen Betrieb im Sommer 1990, setzte ich mich allabendlich hin, um mindestens eine Lektion zu studieren. Während meiner späteren Albanien-Aufenthalte sammelte ich Sprüche vom Norden bis zum Süden, wiederum in einem kleinen Büchlein, und machte die albanischen Sprachwissenschaftler wie z. B. Ali Dhrimo verrückt, indem ich ihnen äußerst detaillierte und hartnäckige Fragen hinsichtlich der Ungenauigkeiten und Widersprüche in den Lehr- und Grammatikbüchern stellte. Die Übersetzungstätigkeit und das eigene Abfassen meiner Beiträge auf Albanisch ermöglichen es mir, diese süße Liebe zu nähren.
M.: Gemäß Ihrer Forschungen: wie sehr ist die Frage der albanischen Ethnogenese innerhalb der österreichisch-ungarischen Albanologie behandelt worden?
K. G.: Diese Frage habe ich mehrmals ausführlich behandelt, so z. B. in meinem Beitrag “
M.: In Ihrer akademischen Karriere haben Sie an der Universität Wien und Universität Graz unterrichtet. Können Sie uns sagen, wie es an beiden Universitäten mit der Erforschung der albanischen Sprache und Literatur bestellt ist?
K. G.: Ina Arapi ist die Expertin für die Geschichte der Erforschung der albanischen Sprache und Literatur an der Universität Wien. Als ich 2001-2002 am Institut für Sprachwissenschaft Albanisch-Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene leitete, war das Interesse der Studenten aufgrund der fehlenden Perspektive eines Arbeitsplatzes bereits gesunken. An der Universität Graz war es das Institut für Translationswissenschaft (ITAT), das 2005 zum ersten Mal Albanisch als Übersetzungs- und Dolmetschdisziplin anbot, wo ich einer der ersten LektorInnen war. Aber das große Anfangsinteresse der Studierenden sank innerhalb nur eines Jahres auf fast Null, weil sie sich natürlich nach ihren Chancen auf dem Arbeitsmarkt orientierten. So wurde dieser Zweig schon nach zwei Jahren von der neuen deutschen Institutsleiterin geschlossen, die nicht an der Beibehaltung von kleinen Sprachen interessiert war, die dem auf der ganzen Welt verbreiteten neokapitalistischen Geist nicht dienlich erscheinen. Die von Seiten der LektorInnen verfasste und eingereichte Petition zur Beibehaltung des Albanischen erwies sich daher als wirkungslos.
M.: Außer an österreichischen Universitäten haben Sie auch in Albanien an der Universität Tirana und Universität Shkodra unterrichtet. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit? Welchen Eindruck hat Shkodra auf Sie hinterlassen?
K. G.:
Mit meinen StudentInnen in Tirana hatte ich im Allgemeinen sehr gute Beziehungen, obwohl der Grat zwischen dem Respekt vor dem Professor und der Ausnutzung der Freundschaft ein sehr schmaler war. Gemeinsam veranstalteten wir Partys, spielten Fußball im Park und wanderten in der Natur. Die persönliche Nähe zu den Studierenden brachte mich aber auch in schwierige Situationen, z. B. wenn die Freundschaft als Bereitschaft zur Vergabe von unverdienten Noten missverstanden wurde. Meine Aufgabe an der Geschichte-Abteilung bestand darin, eine kleine Gruppe von Studierenden, die ich selbst ausgesucht hatte, zunächst in Deutsch und danach in der Geschichte der österreichisch-albanischen Beziehungen zu unterrichten. Aus diesem einzigartigen Projekt sind einige AbsolventInnen hervorgegangen, die eine ausgezeichnete akademische Karriere machten.
An der Universität Shkodra war ich 2006-2011 als Lektor an der Germanistik tätig. Dort waren meine Beziehungen zu den Studierenden sogar noch intensiver als in Tirana. Mit einigen von ihnen verbindet mich heute noch eine Freundschaft fürs Leben. Doch meine Experimente des Übergangs vom alten Stil des autoritären Unterrichtens zum neuen freundschaftlichen Stil waren im Allgemeinen zum Scheitern verurteilt, weil die Mehrheit der Studierenden die Notwendigkeit der Trennung des Privatlebens von der Unterrichtszeit und der Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an Disziplin nicht verstehen konnte. Den Einfluss des Shkodraner Dialekts auf mein Albanisch erlebte ich als “verderbend”, während meine shkodranischen Freunde es als “regulierend” bewerteten.
M.: Da Sie auch ein Dichter sind: wie sehr sind Sie mit den Werken der albanischen Dichtung vertraut? Können Sie uns einige Dichter nennen, deren Werke sie gerne gelesen haben?
K. G.: Die Liste ist lange, daher werde ich nur jene erwähnen, die ich am tiefsten in mein Herz geschlossen habe: unter den albanischen Autoren Lasgush Poradeci, Migjeni, Fan Noli; unter den nichtalbanischen Autoren Johann Wolfgang von Goethe, Hermann Hesse, Pablo Neruda, Sri Aurobindo. Im Besonderen möchte ich an dieser Stelle das Buch “Der Kleine Prinz” hervorheben, weil es sich an die Kinder und jene, die im Herzen Kind geblieben sind, richtet und ein unendlich tiefgründiges, ja in der Tat mystisch-spirituelles Werk ist.
M.: Abgesehen von der Entwicklung und Promotion der Albanologie in Österreich ist es Ihnen auch gelungen, die literarischen Werke albanischer Autoren durch Ihre Übersetzungsarbeit bekannt zu machen. Können Sie uns bitte sagen, auf welche Kriterien Sie sich bei Ihrer Auswahl stützen? Auf die Meinungen der Literaturkritik, Ihren persönlichen Geschmack oder die Wünsche der Verlage?
K. G.: Bei meiner Auswahl der literarischen Werke für die Übersetzung stütze ich mich weder auf die Meinungen der Literaturkritik noch auf die Wünsche der Verlage. Die Literaturkritik versteckt sich gewöhnlich hinter komplizierten, oft selbsterfundenen und für die LeserInnen unverständlichen Begriffen und kreist um den Intellekt, indem sie die Kategorien des Herzens und der Seele ausschließt, deren Realität sie entweder nicht anerkennt oder nicht versteht. Die Verlage hingegen haben ihre Seele an die Profitmaximierung verkauft. Der Name oder die Berühmtheit des Autors interessiert mich nicht. Mich interessiert das Werk. Daher gehe ich vom Inhalt des Werks aus, sei es Prosa, Lyrik, mit Reim, ohne Reim. Wenn ich die Angelegenheiten des Herzens und der Seele darin finde, dann übernehme ich gerne den Übersetzungsauftrag. Die Tätigkeit des Übersetzens, da sie schwierig ist, sobald man sie mit Seriosität ausübt, muss finanziell angemessen entlohnt werden. Ein guter Übersetzer vereint die drei Hauptkompetenzen in einer Person: die sprachliche, die übersetzerische und die kulturelle Kompetenz. Wenn es nur an einer dieser Kompetenzen mangelt, so kann die Übersetzung nicht auf dem gewünschten Niveau sein.
M.: Können Sie uns sagen, mit welcher albanologischen oder übersetzerischen Arbeit Sie sich gerade beschäftigen?
K. G.: Zur Zeit beschäftige ich mich mit keiner Übersetzungsarbeit, sondern mit der albanischsprachigen Abfassung meines geschichtswissenschaftlichen Beitrags
Veröffentlicht in:
Die Sonne 10 (2019), Nr. 38, S. 4-6. http://www.dielli-demokristian.at/de/ausgaben.html
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